Das Thema Digitalisierung in Deutschland

Gestern abend saß ich bequem auf der Couch und sah bei Twitter einen Tweet von Sina Trinkwalder über ihren Auftritt in der ZDF Talkshow Maybrit Illner vom 22. Februar 2018. In besagter Show ging es um das Thema Digitalisierung in Deutschland. Geladen waren der Chef des Bundeskanzleramtes Peter Altmaier, die designierte SPD Parteivorsitzende Andrea Nahles, die FDP Generalsekretärin Nicole Beer, der Professor für Sozialpolitik Stefan Sell und die bereits erwähnte Unternehmerin Sina Trinkwalder. Natürlich schaute ich mir die Talkshow erstmal an, bevor ich mir ein Urteil erlaubte. Der Tweet von Frau Trinkwalder klang beim ersten Lesen nämlich ein wenig dramatisch. Die Handhabe der Digitalisierung, wie sie im Koalitionsvertrag beschrieben ist, lässt aber auch wenig Hoffnung, dass am Ende alles gut werden wird.

Was bedeutet Digitalisierung eigentlich?

Das Wort Digitalisierung geistert ja nicht erst seit gestern durch die Medien. Meist wird bei der Erwähnung der Digitalisierung ein mehr oder weniger drastisches Horrorszenario beschrieben, welches die große Arbeitslosigkeit der breiten Masse in diesem Land beschreibt. Quasi der schwarze Freitag 2.0. Die Industrialisierung, nur eben mit Bits und Bytes. Ganz so apokalyptisch ist die Digitalisierung aber nicht. Bei der Digitalisierung geht es um weitaus mehr als Facebook, Twitter und Co. Die Digitalisierung beschreibt im Grunde genommen die Transformation dieser Gesellschaft, in der immer mehr technische Prozesse das Arbeitsleben bzw. das Leben allgemein vereinfachen. Wir alle nutzen bereits die Vorteile der Digitalisierung im Bereich des Einkaufens, beim Vergleichen von Reise- und Versicherungsangeboten, beim Autofahren und zu Haus, wenn wir unseren Sprachassistenten mal wieder bitten etwas für uns zu erledigen. Ich selbst arbeite seit über zehn Jahren im Bereich der Versicherungsbranche und programmiere Prozesse, die das automatisierte Vergleichen von Versicherungsprämien ermöglicht. Man gibt seine Daten in ein Online Formular ein, bekommt entsprechende Ergbnisse angezeigt und kann online einen Tarif abschließen. Von der Anzeige der Tarife bis hin zum Erhalt der Versicherungspolice der Post steht oftmals, mal abgesehen vom Postboten, kein einziger Mensch mehr. Wobei viele Versicherungspolicen auch einfach nur per E-Mail als PDF Dokument versandt werden.

Digitalisierung bedeutet bei all seinen Vorteilen aber auch, dass Arbeitsplätze wegfallen werden. Machen wir uns nichts vor. Im oben genannten Beispiel des Versicherungsvergleiches erübrigt sich der normale Versicherungsvertreter irgendwann von selbst. Im Grunde genommen sind alle Berufszweige betroffen, in denen man Arbeitsprozesse automatisieren kann. Eine Sachbearbeiterin, die Angaben kontrollierte, wird zukünftig höchstwahrscheinlich von irgend einem automatisierten Prozess ersetzt, der durch eine künstliche Intelligenz gesteuert wird. Bei Maybrit Illner nannte Herr Sell das Amazon GO Beispiel. Amazon eröffnete in Seattle einen Supermarkt, in dem es keine Kassen mehr gibt. Somit hat sich der Einsatz von Kassiererinnen erübrigt. Wenn man es negativ ausdrücken möchte, könnte man beschreien, dass das für uns alle schlecht ist, weil wir die Kassiererinnen in die Arbeitslosigkeit senden. Allerdings ergeben sich durch die Digitalisierung auch weitere Chancen. Beim Beispiel von Amazon GO gab es etliche neue Jobs im Backoffice Bereich, in denen die Kassiererinnen eingesetzt werden könnten. Bereits jetzt zählt die Bitkom, der IT-Branchenverband, weit mehr als 50.000 offene Stellen für IT Fachkräfte. Realistisch gesehen ist die Digitalisierung also bereits jetzt schon ein Job-Automat, der Jobs nicht nur zerstört, sondern auch erzeugt.

Politische Versäumnisse

In der Talkshow merkte man aber auch, dass es jede Menge politische Versäumnisse zum Thema Digitalisierung gibt. Über den Breitbandausbau in Deutschland müssen wir eigentlich nicht mehr reden. In den letzten zehn Jahren wurde so oft versprochen, dass der Breitbandausbau vorangetrieben wird. In ländlichen Gegenden ärgert man sich trotz der vielen Versprechen auch heute noch mit Funklöchern und geringer Internet Geschwindigkeit herum. Wahrscheinlich wird dieses Problem mit der kommenden Regierung auch nicht aus der Welt geschafft werden können.

Erschreckend ist auch, wie einfach sich Herr Altmaier und Frau Nahles das Thema Qualifikation und Umschulung vorstellen. Da sagt man einfach, dass man die Näherin, deren Job durch die Digitalisierung weggefallen ist, durch Weiterbildung und Qualifikation dann in der automatisierten Fabrik einsetzen kann. Ein solch naives Wunschdenken hat mich dann doch überrascht. Ich selbst mache meinen Job nun schon ein paar Jahre und muss jeden Tag dazu lernen, da der technische Wandel so schnell voranschreitet, dass man gar nicht alles wissen kann. Wie bringe ich nun einem Handwerker in einem halben Jahr bei, wie sein Computer funktioniert und wie er damit programmieren kann, so dass er in einem Job arbeiten kann, der im Zuge der Digitalisierung benötigt wird? Ist es nicht schon heute so, dass die umgeschulten Webdesigener, die aus einer Maßnahme der Arbeitsagentur hervorgehen, am Arbeitsmarkt keine Chance haben? Wieso sollte das also zukünftig funktionieren?

Die andere Frage ist, ob ein Mensch, der bisher als Handwerker tätig war, überhaupt die Voraussetzungen mitbringt in einer hochtechnisierten Branche zu arbeiten? Möchte ein Tischlermeister dann als Altenpfleger arbeiten? Bringt er die sozialen Kompetenzen mit, die man für diesen Beruf benötigt? Wenn wir Pflegekräfte allein durch Umschulung generieren können, frage ich mich, wieso es dafür eine offizielle Ausbildung gibt? Was machen wir eigentlich mit den Gehaltsaussichten eines Lagerarbeiters, der bisher gut verdiente, und nun in der Pflegebranche Einbußen hinnehmen soll? Das in der Talkshow erwähnte Guthaben für die Auszeit, die ein Arbeitnehmer nutzen kann, um sich persönlich weiter zu bilden, geht in genau die gleiche Richtung. Wieso sollte ein Unternehmen jemanden beschäftigen, der sich vielleicht ein paar Monate weiter gebildet hat, obwohl es gleichzeitig Arbeitnehmer gibt, die eine Ausbildung in diesem Bereich genossen haben?

Unterm Strich bleibt die absolute Ahnungslosigkeit der Politik, was das Thema Digitalisierung angeht. Dem technischen Fortschritt entgegnet man mal wieder mit Regulierung und zusätzlichen Steuern. Als wenn man Deutschland damit fit für die Zukunft machen könnte.

Digitalisierung im Hier und Jetzt

Beachten wir einfach mal nicht die Politiker, in deren Traumvorstellung die digitale Gesellschaft einfach mal so funktioniert. Was passiert heutzutage tatsächlich? Die Allianz Versicherung hat letztes Jahr angekündigt aus Gründen der Digitalisierung 700 Stellen abzubauen. Hierbei handelt es sich um Jobs, die wegen der Digitalisierung einfach überflüssig geworden sind. Deutsche Unternehmen sind schon längst in der Digitalisierung angekommen und nutzen diese Vorteile auch massiv.

Andererseits kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass der Staat im öffentlichen Bereich die Digitalisierung einfach verschlafen hat. Bei meinem Umzug am Jahresanfang wurde dies sehr deutlich. Auf die Frage, warum ich meine Firma nicht online mit einem neuen Personalausweis, der bereits Eigenschaften zur digitalen Authentifizierung mitbringt, ummelden könne, sagte man mir, dass das einfach nicht gehen würde, weil es keine rechtliche Grundlage für digitale Unterschriften gibt. Beim Einwohnermeldeamt erntete ich böse Blicke, als ich nach der E-Mail Adresse der Sachbearbeiterin fragte, um ihr schnell eine E-Mail mit den benötigten Dokumenten zu senden, die ich alle auf meinem Handy hatte. Auf die Frage, warum es ein erhöhter Arbeitsaufwand wäre, wenn ich die Dokumente per E-Mail sende, sagte man mir, dass man diese erst ausdrucken und dann wieder einscannen müsse. Unverständlich, da die Dokumente ja schon von mir eingescannt wurden und bereits in einem digitalen Format vorliegen.

Öffentliche Ämter arbeiten in großen Teilen immer noch mit Papier. Formulare werden ausgefüllt und ausgedruckt und zu zentralen Sammelstellen geschickt, die diese Formulare dann einscannen und wieder zurück an die Behörde senden. Es dauerte drei Wochen, bis die Abmeldung meiner Firma im alten Wohnort dem dort ansässigen Finanzamt bekannt gegeben wurde, welches nicht mal 500 Meter vom Rathaus entfernt liegt.

Ebenso fatal ist die Annahme, dass man durch die Arbeitsangentur geschulte Arbeitnehmer in Unternehmen unterbringen könnte. Schon jetzt sind die bei der Arbeitsagentur geschulten Inhalte einfach veraltet. Am Ende einer Qualifizierung über die Arbeitsagentur steht eben kein qualifiziertes Fachpersonal, welches momentan händeringend von Unternehmen gesucht wird.

Frau Nahles vertritt nach wie vor die Ansicht, dass Freelancer, die projektbezogen arbeiten, in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen sollen. Selbst in der Talkshow wird dieser Fakt so verkauft, als wenn es ein Geschenk für uns Selbstständige wäre. Welchen Sinn ergibt es uns weitere Kosten aufzubürgen? Wieso ist man der Meinung, dass es eine gute Idee ist viel Geld in ein System zu investieren, bei dem schon jetzt für viele, die Jahrzehnte eingezahlt haben, die Altersarmut steht?

Fazit der Maybrit Illner Sendung

Einerseits war ich erschrocken, mit welcher Blauäugigkeit und mit welchem Unwissen unsere Poltiker der Digitalisierung entgegen treten. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass lediglich die Interessen der Großunternehmen vertreten werden. Der Mittelstand, der nicht erst seit gestern beklagt, dass sie endlich schnelle Internet Anbindungen benötigen, um mit den Mitbewerbern aus dem Ausland mithalten zu können, wird wieder nur stiefmütterlich behandelt. Statt hier wirklich etwas zu tun, entgegnet man der Digitalisierung mit Steuern und einem Heimatministerium. Sina Trinkwalders Aussage, dass es in diesem Land ausreicht 50.000 Twitter Follower zu haben, um ein Amt für Digitalisierung zu bekleiden, ist wirklich bezeichnend. Solange Dilettanten meinen die Führung übernehmen zu müssen, werden die Chancen, die eine Digitalisierung mit sich bringt, nicht wahrgenommen werden.

Andererseits waren Sina Trinkwalder und Stefan Sell auch ein kleiner Lichtblick. Wie so oft machte es den Anschein, dass wir Unternehmer es mal wieder selbst stämmen müssen. Das tun wir ja bereits auch. Allerdings werden uns hier gerade in Deutschland Steine in den Weg gelegt, wo immer es nur geht. Der nächste große Hürde ist die Bürokratie, die mit der Europäischen Datenschutz Grundverordnung kommt. Keine Frage, Datenschutz ist wichtig. Es sollte aber nicht darin enden, dass Unternehmen heute noch nicht mal den Aufwand abschätzen können, den die Umsetzung dieser Verordnung mit sich bringt.

Gerade Frau Nahles scheint an ihrer romantischen Vorstellung von Arbeit, wie sie einst vor 50 Jahren aktuell war, zu hängen. Alles läuft in geregelten Bahnen. Der Arbeitnehmer hat einen Tarifvertrag, zahlt fleissig in die Rentenkasse ein, profitiert von den Errungenschaften des Sozialstaates und genießt am Ende seines Arbeitslebens den wohlverdienten Ruhestand. Ein lineares Arbeitsleben ohne die Hürden, die man heute einfach zu nehmen hat. Projektbezogene, selbstständige Arbeit, die nicht an ein festes Büro geknüpft ist, scheint in der Realität der SPD noch nicht angekommen zu sein.

Die anwesenden Politiker gaben ein mehr als dürftiges Bild ab und lassen mich nicht gerade positiv gestimmt zurück.

 

1 Gedanke zu „Das Thema Digitalisierung in Deutschland“

  1. Marcel, da hast du sowas von Recht. Ich hab auch das Gefühl, für die zukünftige GroKo gibt es eine Mammutaufgabe, nämlich Deutschland von Neuland in Digitalland zu überführen. Mit allem was dazu gehört! Schade nur, das niemand darauf wetten würde, dass die das schaffen!

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