Die Bahn als rollendes Büro – geht das?

Vor ein paar Tagen veröffentlichte die Deutsche Bahn einen Artikel über das Arbeiten im Zug. Ich persönlich musste sehr schmunzeln über die im Artikel dargestellte Welt voller Regenbögen und Einhörner. Mit den folgenden Zeilen möchte ich mal von meinen persönlichen Erfahrungen mit der Deutschen Bahn berichten.

Ein realistischer Arbeitstag im Zug – statt im Büro

Ich bin Webentwickler, digitaler Nomade, nicht an einen festen Arbeitsplatz gebunden und somit mittlerweile einen Großteil meiner Arbeitszeit mobil unterwegs. Mitunter bin ich auch zwei mal die Woche als Pendler mit der Deutschen Bahn unterwegs. Der Weg zum Kunden beläuft sich auf gute zwei Stunden. Diese Zeit nutze ich, um an Projekten zu arbeiten. Alles andere wäre verschenkte Zeit. Mein Arbeitstag beginnt eigentlich so, wie im Artikel der Deutschen Bahn beschrieben. Nachdem ich alle zwei Wecker verflucht habe, stehe ich langsam auf und checke mit einem Blick auf den Bahn Navigator, ob mein Zug pünktlich kommt. Ich gehe rechtzeitig zum Bahnhof und ärgere mich unter Umständen mal wieder, dass der Ticket Automat der Bahn mal wieder nicht funktioniert. Nein, es geht hier nicht darum, dass ich zu blöd bin ein Ticket aus diesem Kasten zu ziehen. Dafür fahre ich schon zu lange mit der Bahn. Es geht hier einfach darum, dass dieser Automat anscheinend eine persönliche Abneigung gegen mich hat. Ich erscheine. Der Automat fährt runter und zeigt mir nur noch sein schwärzestes Gesicht in Form eines Boot Screens. Ich rede mir ein, dass es einfach daran liegt, dass unser wunderschöner Bahnhof gerade modernisiert wird. Modernisierung ist gut. Ohne Ticket in die Bahn zu steigen ist allerdings ein weniger gutes Gefühl.

Die Jagd des Zug-Begleitpersonals gestaltet sich manchmal ein wenig schwierig. Wenn man dann jemanden findet, kann ich mein Ticket, welches nicht nachvollziehbar ein paar Euro teurer ist als am nicht funktionierenden Automaten, nur bar bezahlen. Die Erfahrungen mit der Bahn lassen mich beruhigender Weise immer ein paar Scheinchen mehr als gewohnt mit mir rum tragen. Die Bezahlung mit einer EC Karte, geschweige denn mit total modernen online Bezahldiensten, ist nicht möglich. Ich freue mich dennoch über mein Ticket.

An einem Sitzplatz angekommen, nachdem ich an unendlich vielen weniger gut gelaunten Gesichtern vorbei gelaufen bin, die anscheinend mehr Glück am Automaten hatten und für sich und die begleitende Tasche ein Ticket ziehen konnten, arrangiere ich mich mit den üblichen Gegebenheiten in der Bahn. Mein Rucksack passt gerade so in die vorgesehenen Gepäckablagen über mir. Ein Typ vor mir telefoniert mit einer mir nicht bekannten Sprache und mit einer für einen Morgen wie diesem wahnsinnig lauten Stimme mit irgendjemandem. Links gegenüber sitzt irgend ein Punk, der seine Füße inklusive Springer Stiefel auf dem Sitz parkt und total miesen Speedmetal über seine nicht abgeschirmten Kopfhörer hört. Der alltägliche Wahnsinn.

Ich möchte meine Zeit produktiv nutzen und merke, dass ich keine Abstellfläche für mein Surface habe und platziere ihn auf meinem Schoß. Um mich dem wahnsinnigen Krach, der aus den Kopfhörern von dem Typen links neben mir kommt, und vom dem wahnsinnig interessanten Telefonat, welches durch das ganze Abteil hallt, zu entziehen, stecke ich mir selbst Kopfhörer in meine Ohren. Die sind übrigens abgeschirmt. Mein Blick fällt nochmals auf den DB Navigator, um zu prüfen, ob ich meinen Anschlusszug pünktlich erreiche. Eher nicht so.

WLAN im Zug

Als die blühende Landschaft des Münsterlandes so an mir vorbeizieht, träume ich von WLAN in der zweiten Klasse im Regionalexpress. Ich träume auch von Steckdosen in der zweiten Klasse des Regionalexpress. Die erste Klasse des Regionalexpress hat immerhin eine Steckdose zwischen den Sitzen. Allerdings habe ich mir überlegt eher auf das Akku des Surface zu vertrauen, als dass ich den unangemessenen Preis für die erste Klasse in einem Regionalexpress bezahle. Schließlich gibt ’s dort ja auch kein WLAN.

Als ich mal mit dem ICE nach Hamburg zu einem Kunden bin, freute ich mich über das WLAN im Zug. Allerdings war dessen Konnektivität so lückenhaft wie ein Schweizer Käse. Zudem sollte ich dort irgend eine Hotspot Kennung meines Telekom Vertrages eingeben, die ich nicht kenne. Allerdings bin ich ziemlich gut um Umgehen von technischen Hürden, die ein Großteil derer, die zufällig kein Nerd sind, nicht schaffen. Ich ließ es dann mit dem WLAN und vertraute dann auf den Hotspot, den ich mir selbst mit meinem Handy eingerichtet habe. Die Konnektivität war bis auf ein paar Lücken in ländlicheren Gegenden außergewöhnlich gut und kostete einfach mal gar nichts. Der Krawatte tragende Geschäftsmann neben mir schaute skeptisch auf mein Shirt mit einem Motiv aus einem Flash Comic und dann eher neidisch auf den Screen meines Laptops.

Genau so halte ich es auch in meinem Regionalexpress. Der Hotspot meines Mobiltelefons hält die Verbinung nach außen. Ansonsten wäre ich im Zug der Deutschen Bahn ziemlich aufgeschmissen. Ich schaue noch mal aus dem Fenster und realisiere kurz, dass unsere europäischen Nachbarn diese Probleme nicht haben. Ein wenig Neid kommt auf. Ich widme mich dem PHP Code, auf den ich mich dank meiner Kopfhörer ohne störende Geräusche konzentrieren kann.

Digitale Nomaden sind noch kein Stück zu der Deutschen Bahn durchgedrungen. Würde man nicht auf Bäumen leben, hätte man schon vor Jahren realisiert, dass digitale Nomaden Steckdosen benötigen und eine kostenlose, funktionierende WLAN Infrastruktur, die für den Preis des Tickets eigentlich selbstverständlich sein sollten.

Wie ist die Arbeitsatmosphäre vor Ort?

Man ist nicht alleine und hat doch seine Ruhe. Wenn man nicht gerade in der Gruppe reist, ist schließlich niemand da, der etwas von einem will. Ein großer Vorteil gegenüber einem Großraumbüro.

Wenn ich nun von drei herunter zähle und mit den Fingern schnippe, wachen Sie bitte wieder aus ihrem Traum auf. Ich selbst fühle mich vom Schmatzen der vor mir sitzenden Menschen schon gestört, die irgend ein Fastfood Zeug in sich hinein drücken, welches neben der unsagbar fantastischen Geräuschkulisse auch noch wundervoll riecht. Die besagten Telefonierer in der Bahn sind auch immer der Hit. Die stören nämlich mal so gar nicht – wenn man taub ist. Manchmal wünsche ich mir wirklich, dass man das Telefonieren in der Bahn einfach verbieten würde. Ich glaube damit ist wirklich allen geholfen, die auf ihrer Reise mehr als nur aus dem Fenster gucken wollen. Eine einheitliche Ausstattung wäre auch äußerst wünschenswert. Mal habe ich eine Ablagefläche, die ich an dem Sitz vor mir einfach herunter klappen kann. Mal fehlt diese komplett. Wieso ist das eigentlich so? Das Bahnpersonal, welches sich hin und wieder mal blicken lässt und auf längeren Reisen auch zwei- oder dreimal fragt, ob man ein Ticket hat, stört natürlich auch überhaupt nicht. Allerdings gehen diese Menschen nur ihrem Job nach. Das wäre vollkommen okay, wenn man zumindest einmal ein Lächeln oder ein freundliches „Ich wünsche Ihnen eine gute Reise“ gesagt bekommt und sich nicht wie Vieh in der Massentierhaltung vorkommen würde.

Zumindest im Regionalexpress herrscht keine wirklich wünschenswerte Atmosphäre. Dank meiner Kopfhörer kann ich mich selbst aber so gut wie möglich von den äußeren Reizen verabschieden und mich so gut es geht auf das konzentrieren, was da auf meinem Bildschirm geschieht. Ohne Strom. Ohne WLAN.

Auch eine Reise in einem ICE weist vielleicht in der ersten Klasse die zitierte Atmosphäre auf. Alles andere ist und bleibt einfach ein Traum. Eine Idealvorstellung, von der sich die Deutsche Bahn einfach mal verabschieden kann, wenn es um die Arbeitsathmosphäre in einem Zug geht.

Der Mehrwert?

Es ist nicht so, dass ich im Zug nichts schaffen würde. Ich muss allerdings damit leben, dass mein Sitznachbar unmittelbar auf meinen Bildschirm schauen kann. Gut, ich programmiere PHP. Ich gehe einfach davon aus, dass mein Sitznachbar einfach nicht versteht, was da auf meinem Bildschirm passiert.

Dank einer lokalen Arbeitsumgebung auf meinem Surface, einem lang haltendem Akku und einer Powerbank habe ich auch mit dem Strom in einem Regionalexpress keine Probleme. Der Hotspot meines Lumia Mobiltelefons sorgt wegen der gut ausgebauten Infrastruktur meines Mobilfunkanbieters und nicht wegen der Bahn für eine gute Konnektivität und Geschwindigkeit in Sachen Internet. Meine Erfahrung und meine ausgesprochen große Geduld mit Mitreisenden und dem Bahnpersonal gestalten den Arbeitsplatz im Zug dann doch einigermaßen erträglich.

Am Ende ist es schön, dass ich die Zeit der Reise nicht in einem Auto verbracht habe, sondern in einem Zug saß, in dem ich trotz aller Widrigkeiten dennoch ein wenig erledigen konnte.

Fazit

Der Artikel der Bahn mag vielleicht für eine Nachtreise in der ersten Klasse mit einem ICE gelten, wenn man die Bahncard 50 oder 100 besitzt. Alles andere ist einfach Wunschdenken oder Schönfärberei. Der Artikel mag vielleicht ein gutes Marketinginstrument für Neukunden sein. Mit der Realität von Pendlern hat die dort dargestellte Sicht der Dinge allerdings wenig zu tun.Das Preis- Leistungsverhältnis in Sachen Arbeitsplatz im Zug stimmt außerhalb der im Eingangssatz beschriebenen Situation einfach nicht mehr überein. Während die Schnellbusse im Münsterland lückenlos gut funktionierendes, kostenloses Internet (WLAN) bieten, schafft es die Deusche Bahn noch nicht mal lückenlos in ihren hochpreisigen ICE Angeboten. Die Bahn gelobte Besserung. Ich bin gespannt.

Wer Ruhe benötigt, ist mit der Bahn wirklich nicht gut bedient. Es sei denn, man kann sich mit Kopfhörern bei der Arbeit arrangieren. Wer sich auf das WLAN der Deutschen Bahn verlässt, welches übrigens großtenteils von der Telekom als Hotspot bereit gestellt wird, ist meist verlassen. Ich persönlich verlasse mich hier auf einen guten Mobilfunkvertrag mit einem entsprechend hohen Datenvolumen. Strom ist in den ICE- und IC Angeboten der Deutschen Bahn kein Problem. Auch in der ersten Klasse eines Regionalexpress sind Steckdosen vorhanden. Alles was darunter kommt, hat keine Steckdosen an den Sitzplätzen. Also sorgt für ein volles und Eurer Reisedauer angepasstes Akku und nehmt zur Not eine Powerbank mit.

Arbeiten in der Bahn funktioniert. Aber noch lange nicht so gut, wie es die Deutsche Bahn gern hätte.

 

 

Bildnachweis: Vladimir Ovcharoc / Stockvault / Train129974 / Creative Commons Licence

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